Bernhard von Clairvaux

Bernhard starb nach einem bewegten Leben am 20. August 1153 im Alter von 62 oder 63 Jahren an einem Magenleiden in seinem Kloster Clairvaux, das er 38 Jahre lang geleitet hatte.

Biografische Hinweise zu Bernhard von Clairvaux

Bernhard wurde 1090/1091 als Sohn des burgundischen Vasallen Tescelin–le-Sor, Seigneur de Fontaines–lès-Dijon und dessen Gattin Aleth (Adelheid), Tochter des Grafen Bernard, Sir de Montbard auf Burg Fontaines bei Dijon als 3. von 7 Kindern geboren. Er hatte 5 Brüder und 1 Schwester. [1]

Mit 8 Jahren wird Bernhard in die Lateinschule der Stiftsherren von St. Vorles in Châtillon-sur-Seine geschickt, die er 10 Jahre lang besucht. Hier erhielt das Kind eine hervorragende, gründliche theologisch-literarische Bildung, die ihm später sehr zustatten kam. Wenn man die Sprachbeherrschung Bernhards bedenkt, dann waren die Stiftsherren exzellente Lehrer in den Sieben Freien Künsten. Aber auch die zwei Jahre in Cîteaux bei Abt Stephan Harding (1113-1115) haben sicherlich ihre Spuren hinterlassen. Bernhards Vertrautheit mit der Hl. Schrift und den Kirchenvätern dürfte hier vor allem gefördert worden sein. Auch hatte er hier die besten Bibelübersetzungen zur Hand, die es damals gab. [2]

Noch einmal zurück zur Schule in Châtillon-sur-Seine. Hier hatte das Kind Bernhard am Weihnachtsfest 1098/1099, also im Alter von 8 Jahren, eine Vision, die sein ganzes Denken beeinflusste. Bernhard sieht während der Weihnachtsmette die Geburt des Christkindes und er begreift, dass Gott nicht nur der unnahbare Gott ist, der über allem thront, sondern dass er vor allem auch Mensch wurde und sich den Menschen zuneigt, zuwendet – einer von ihnen ist. Für uns ist dies heute selbstverständlich, aber damals eröffneten sich dadurch neue Welten.

1103 – Bernhard ist gerade 13 Jahre alt – stirbt die Mutter. Dieser Tod stürzt den Knaben in eine tiefe religiöse Krise, die ihn jahrelang nicht zur Ruhe kommen lässt. Am Ende aber (1111) hat er seinen Lebensweg gefunden – er will ganz für Gott leben. Und das nicht etwa in Cluny, sondern in dem damals fast unbekannten, bestenfalls wegen seiner Strenge verrufenen Neuklosters Cîteaux (das Kloster bestand 13 Jahre).

1113 tritt er mit 30 Gleichgesinnten in Cîteaux ein, darunter sind fast alle seine Brüder, später wird auch der Vater folgen.

2 Jahre später wird Bernhard zur Gründung nach Clairvaux geschickt: clara vallis – das helle Tal nennt er diese Gründung. Hier entfaltet er seine Theologie, nimmt Einfluss auf Kirche und Welt –so sehr, dass man die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts das Bernhardinische Zeitalter nannte.

Bernhards Einfluss auf den Zisterzienserorden ist so groß, dass er oft als dessen Gründer angesehen wird. Er ist es nicht: das ‚novum monasterium de Cistercio' das Neukloster von Cîteaux bestand bereits 15 Jahre als Bernhard dort 1113 eintrat.

Aber er hat die Spiritualität des Ordens geprägt. Ohne ihn hätte dieser sicher ein ganz anderes Gesicht bekommen – die Bibel des hl. Stephan Harding aus der Gründerzeit z.B. kennt nicht die herbe Schlichtheit des hl. Bernhard – das Bilderverbot, die spätere Schmucklosigkeit.

Die Spiritualität der Zisterzienser

Das Neukloster – novum monasterium de Cistercio – war 1098 von Robert von Molesme und 21 seiner Mitbrüder in der Einöde von Cîteaux als Reformkloster gegründet worden. Mit dieser Gründung wandten sie sich gegen das Mönchtum clyniazensischer Prägung, das von Prunk, Reichtum und Machtausübung gekennzeichnet war. Cîteaux war als klarer Protest gegen Cluny gedacht.

Die Gründerväter von Cîteaux, die drei Äbte Robert, Alberich und Stephan Harding suchten das alte Mönchsideal neu zu verwirklichen. Sie wollten die Rückkehr zum reinen Evangelium und zum Ideal der christlichen Urkirche und standen damit der Bewegung des Mittelalters von der „vita evangelica et apostolica" nicht fern. Doch darüber hinaus charakterisieren 5 Grundsätze oder Prinzipien ihr Leben:

die reine Regel.

Die Gründerväter von Cîteaux wollten die reine Regel leben. Dies war das eigentlich entscheidende Motiv für die Reform von Cîteaux: die Regel rein und strikt zu befolgen. Im Exordium parvum XV heißt es: „So machten sie die Regel zur Richtschnur ihres ganzen Lebens, folgten ihren Vorschriften sowohl in liturgischen als auch in allen übrigen Belangen und richteten sich ganz nach ihnen aus." [3]

Einfachheit und Armut.

Die Zisterzienser verstanden sich ausdrücklich als die Armen Christi, die Paupera Christi, die arm mit dem armen Christus lebten. Im Exordium Parvum heißt es: „So verachteten sie, arm mit dem armen Christus, die Reichtümer dieser Welt, doch begannen sie als neue Streiter Christi gemeinsam zu erwägen, mit welcher Art von Arbeit sie ihren Lebensunterhalt erwerben und für die Gäste sorgen könnten, die die Regel, ob reich oder arm, wie Christus aufzunehmen vorschreibt." [4]

Echtheit und Authentizität

Die Gründerväter von Cîteaux waren um Echtheit bemüht und um die Authentizität alles dessen, was sie taten und lebten. „Das Leben der Zisterzienser sollte also in allem Klarheit, Durchsichtigkeit und Reinheit wider strahlen, um so den Blick auf Gott bzw. Jesus Christus frei zu halten und nicht durch ‚Überflüssiges' zu versperren." [5]

Einsamkeit

Sie wollten in der Einsamkeit leben. Dieses Prinzip führt die Tradition der frühen Mönchsväter fort, die sich direkt in die Wüste zurückzogen, um ohne jede Ablenkung Gott zu begegnen, ja die mystische Gotteserfahrung in besonderer Weise zu leben. (Denn ganz für Gott zu leben und ihn zu lieben ist ja Ziel allen Ordenslebens in den verschiedenen Ausformungen der einzelnen Orden und des Alltags.)

Die Zisterzienser suchten zuerst einmal den Rückzug aus der Gesellschaft und den feudalistischen Strukturen, dann suchten sie Orte in der Einöde oder gar Wildnis, um dort in besonderer Weise Gott zu begegnen. Und gerade wegen der Wildnis der Orte gaben sie diesen symbolträchtige Namen: Clara vallis – helles Tal; Vallis Dei – Gottestal; Porta Coeli – Pforte des Himmels/ Himmelspforte; Marienthal, Marienstatt, Marienstern, Gnadenthal, Seligenthal, Wonnenthal, ... .

Einheit bzw. Einförmigkeit

Dieses Grundanliegen wird in der „Carta Caritatis", einem eher nüchternen Rechtsbuch, das die Beziehungen der Klöster untereinander regelt, deutlich formuliert: „Wir wollen leben in der einen Liebe, unter der einen Regel und nach den gleichen Bräuchen." [6] Die Einheit zeigt sich in der Einheitlichkeit der Bücher, des Gesanges, der Bauweise, ja aller klösterlichen Lebensvollzüge.

Um diese Einheitlichkeit, bzw. Einförmigkeit zu erreichen, gab es die Visitationen durch den Vaterabt und das jährlichen Generalkapitel. (Das erste Kapitel fand 1115 in Cîteaux statt.)

Diese 5 Grundprinzipien legten den Rahmen fest, bzw. gaben die Strukturen vor, in denen sich das Leben der Mönche und Nonnen abspielte und entfalten konnte. Aus diesen Prinzipien erwuchs dann das, was wir heute allgemein Spiritualität nennen. Diese formte sich nicht nur im Leben der einzelnen Person aus, sondern fand auch ihren Niederschlag in Kunst, Architektur, Liturgie und Wirtschaft.

Viele haben an der Ausformung der zisterziensischen Spiritualität mitgewirkt, Mönche und Nonnen, die beispielhaft in und aus ihr gelebt haben: Aelred von Rievaulx, Guerric von Igny; Isaak von Stella; Mechthild von Hackeborn; Gertrud die Große; Luitgard von Tongeren; Beatrix von Nazareth; u.v.a.m. ....

Doch alle übertrifft an Bedeutung und Einfluss Bernhard von Clairvaux. Ihm wollen wir uns jetzt widmen.

Doch vorher noch ein Zitat aus Brief 142. Hier fasst Bernhard zusammen, was er über Zisterzienserspiritualität zu sagen hatte. 1138 schrieb er an die Mönche von Aulps:

Unser Stand, man kann auch übersetzen: unsere Lebensform; im Original heißt es Ordo noster, also:

„Unser Stand ist Erniedrigung, ist Demut, ist freiwillige Armut, Gehorsam, Friede und Freude im Heiligen Geist. Unser Stand bedeutet, unter einem Lehrer zu stehen, unter einem Abt, unter der Regel und Disziplin. Unser Stand ist, sich um Schweigsamkeit bemühen, sich üben im Fasten, in Nachtwachen, im Gebet, in der Hände Arbeit und vor allem aber den höheren Weg gehen, der die Liebe ist; schließlich in all diesen Bestrebungen von Tag zu Tag Fortschritte zu machen und in ihnen auszuharren bis zum letzten Tag." [7]

Eigentlich lässt sich die Art und Weise, Zisterzienserspiritualität zu leben, kurz in drei Worten zusammenfassen, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben: Gebet (in Gemeinschaft und privat), Lectio divina (Lesen bzw. Hören der Hl. Schrift) und Arbeit. Oratio, lectio und labor.

Die Monastische Theologie des hl. Bernhard von Clairvaux

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es keinen Begriff, mit dem die Theologie Bernhards beschrieben werden konnte. Erst Dom Jean Leclerc definierte in seinem Werk „Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters" die Eigenart der Theologie des hl. Bernhard als „Monastische Theologie" und setzte diese in Gegensatz zur scholastischen Theologie.

„Die Monastische Theologie," so sagt Ulrich Köpf, „ist eine Theologie von Mönchen für Mönche, aber gleichzeitig mehr als nur Theologie des Mönchtums." [8]

Das Spezifische dieser Theologie ist nicht das diskursive und argumentative Denken, sie beschäftigt sich nicht mit dem forschenden und denkenden Durchdringen der Hl. Schrift oder einer Glaubenswahrheit – das ist Sache der scholastischen Theologie.

Das Spezifische der monastischen Theologie ist vielmehr die persönliche, individuelle Glaubenserfahrung der Mönche, die zur Sprache gebracht wird. Was diese Theologie beschäftigt, ist die Betrachtung und Schau der Geheimnisse der Heilsgeschichte, die Freude an ihnen und schließlich die Vereinigung mit Gott selbst.

Geheimnis, Mysterium wird dabei zu einem theologischen Schlüsselbegriff. Die Geheimnisse sind zu verehren und anzubeten, nicht zu durchforschen.

Ein weiterer Schlüsselbegriff der monastischen Theologie ist Erfahrung – experiri –im Sinne von religiöser innerer Erfahrung und Bernhard ist ein Meister darin, seine Gotteserfahrung mit Worten der Hl. Schrift zu beschrieben.

Die Methode der monastischen Theologie ist, wie gesagt, nicht das forschende Durchdringen, nicht so sehr die quaestio oder disputatio, sondern die lectio, meditatio, oratio und contemplatio. Es geht nicht so sehr um das scire – Wissen, sondern um das gustare – Schmecken/ Verkosten.

Bei den Zisterziensern, so scheint es, hat diese Theologie ihren Höhepunkt erreicht. Sie hat in Bernhard ihren Ursprung und ihr Vorbild, wenn er vor allem die affektiven Elemente und die Liebe betont.

Schwerpunkte der monastischen Theologie bei Bernhard von Clairvaux

Vier Schwerpunkte möchte ich jetzt vorstellen, die die monastische Theologie des hl. Bernhard kennzeichnen. [9]

1. Das Wort Gottes – die Hl. Schrift

2. Die Jesus-Mystik

3. Die Kreuzes- oder Leidensmystik

4. Die Marienminne

1. die Heilige Schrift – das Wort Gottes.

Die hl. Schrift ist für die monastische ‚Lebenstheologie' wie sie Bernhard lebt gleichsam das ‚tägliche Brot'. Sie begleitet den Mönch durch den ganzen Tag. Er hört und feiert sie in der Liturgie, liest und meditiert sie zur Zeit der Lesung und lebt so mit ihr, aus ihr und in ihr. Bernhard z.B. kannte den größten Teil der Hl. Schrift auswendig und benutzte sie wie seine Muttersprache. Seine Texte erweisen sich oft wie ein Mosaik aus Schriftworten, die er geschickt zusammenstellt und gegenseitig beleuchtet. Daher ist es sehr schwierig, die Schriftzitate als solche zu eruieren.

Der Umgang mit dem Wort Gottes ist weniger intellektuell als vielmehr spirituell – mystisch. Wichtig ist, das es innere Wirkung zeigt. „Mit liegt nicht so sehr daran, Worte zu erklären, als vielmehr Herzen zu bewegen," schreibt Bernhard. [10] Denn die eigentliche Erfahrung mit dem Wort Gottes geschieht nur im Innersten des Menschen.

Die Seele des Menschen sucht das Wort Gottes, ja sie hungert geradezu nach ihm wie nach der täglichen Nahrung. Das Wort kommt jedoch als Geschenk in das Innere des Menschen, ist Frucht seiner Liebe zu Gott. Diese Liebe, diese Öffnung auf Gott hin ist grenzenlos. Über diese Liebe sagt Bernhard: "Der Grund, Gott zu lieben, ist Gott. Das Maß ist, ohne Maß zu lieben. – causa diligendi Deum, Deus est; modus, sine modo diligere." [11]

Ganz deutlich kommt dies in der bekannten Bernhardsdarstellung des Amplexus, der Umarmung mit dem Gekreuzigten zum Ausdruck.

Sinn und Triebfeder, Anfangs- und Ausgangspunkt aller Theologie ist die Sehnsucht und die Liebe.

Das Wort Gottes und der tägliche Umgang mit ihm garantieren ein geistig- geistliches Wachstum und Erstarken in der Begegnung mit Gott. Der Mönch verleibt sich das Wort Gottes ein im Wort und Sakrament; er erfährt immer mehr und immer tiefer Gott selber, Leben und Glück in Gott.

Bernhard schreibt in seiner 74. Ansprache zum Hohenlied über sein Verhältnis zum Wort:

Ich gestehe, dass das Wort auch zu mir gekommen ist, und zwar öfters. Als Narr rede ich (2Kor 11,17). Und obwohl es öfters bei mir eintrat, merkte ich mehrere Male nicht, als es eintrat. Ich merkte, wenn es da war, ich erinnere mich, dass es da gewesen ist; manchmal konnte ich auch sein Eintreten vorausahnen, fühlen niemals, nicht einmal sein Fortgehen (Ps 120,8). Denn woher es in meine Seele kam oder wohin es wegging, das, ich gestehe es, weiß ich auch jetzt nicht, gemäß jenem Wort: ‚Du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.' (Joh 3,8). Aber das ist nicht zu verwundern, denn es ist der, zu dem gesagt wird: ‚Doch niemand sah deine Spuren.' (Ps 76,20). Bestimmt trat es nicht durch die Augen ein, denn es ist nicht farbig; aber auch nicht durch die Ohren, denn es klang nicht; auch nicht durch die Nase; da es sich nicht mit Luft vermischt, sondern mit dem Geist; und es tauchte nicht ein in die Luft, sondern es erschuf sie, aber auch nicht durch die Kehle, denn es ist nicht zu essen oder zu trinken; auch mit dem Tastsinn nahm ich es nicht wahr, denn es lässt sich nicht berühren. Auf welchem Weg kam es also herein? Oder vielleicht kam es gar nicht herein, weil es nicht von draußen kommt? Denn es ist nicht eines von den Dingen, die draußen sind (1Kor 5,12). Endlich kam es auch nicht aus meinem Inneren, denn es ist gut, und ich weiß, dass in mir nichts Gutes ist. Ich stieg auch in mein Höheres hinauf, und siehe, das Wort überragte auch dieses. Auch in mein Tieferes stieg ich als neugieriger Forscher hinab und fand trotzdem das Wort noch tiefer. Wenn ich hinausblickte erfuhr ich, dass es außerhalb meines Äußersten war; blickte ich in mein Inneres, so war es noch innerlicher. Und ich erkannte, wie wahr es ist, was ich gelesen hatte: ‚Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.' (Apg 17,28). Aber selig ist jener, in dem das Wort ist, der ihm lebt, der von ihm bewegt wird." [12]

2. Jesus – Mystik

Die Jesusmystik birgt in sich die zentrale Kraft, alle zentrifugalen Kräfte im Wesen und Leben Bernhards zu bündeln und zu einen.

Jesus ist der Mensch gewordene Sohn Gottes. Er wird für Bernhard Quelle und Ziel seines ganzen Lebens und Strebens. Dabei ist für Bernhard die menschliche, die erdhafte Dimension an Jesus wichtig.

Der Mensch Jesus in seiner ganzen Schwachheit steht für ihn im Mittelpunkt. Krippe und Kreuz sind die beiden Kristallisationspunkte des Abstieges. Denken wir an die Weihnachtsvision und an den Amplexus mit dem Gekreuzigten. Bernhard ist der erste, der dies erkannt und betont hat – lange vor Franziskus.

Gott ist in Jesus ‚zugänglich', ‚begreifbar' geworden. Gott selbst tat durch seinen Abstieg auf die Erde den ersten Schritt auf die Menschen zu. Krippe und Kreuz zeigen, wie weit dieser Gott geht. Tiefer geht es nicht mehr.

Jesus ist – so Bernhard - der Begleiter durch alle Lebensphasen, durch alle Höhen und Tiefen spirituellen Lebens. Das Anrufen seines Namens nimmt Dunkelheit, Lauheit und Traurigkeit von der Seele und schenkt ihr wieder Licht, Zuversicht und Stärke. So könnte man die 15. Ansprache zum Hohen Lied zusammenfassen. Hier liest man aber auch die folgenden Sätze, die mehr sagen als viele Erörterungen:

„Trocken ist jede Seelenspeise, wenn sie nicht mit diesem Öl (d.i. dem Namen Jesu) übergossen wird; sie ist ohne Geschmack, wenn sie nicht mit diesem Salz gewürzt wird. Wenn du etwas schreibst, schmeckt es mir nicht, wenn ich darin nicht den Namen Jesu lese. Wenn du über etwas sprichst oder einen Gedanken darlegst, schmeckt es mir nicht, wenn darin nicht der Name Jesu erklingt. Jesus ist Honig im Munde, Gesang im Ohr, Jubel im Herzen –

Jesus mel in ore, in aure melos, in corde jubilus." [13]

3. Kreuzes- bzw. Passionsmystik

Bernhards Spiritualität hat man vielfach als eine Leidens- und Kreuzesmystik bezeichnet, weil bei Bernhard Jesus als der menschgewordene, leidende und gekreuzigte Gott eine zentrale Rolle spielt.

Die Wunden Jesu sind für ihn nicht nur Beleg für die Liebe Gottes, die dem Menschen immer zuvorkommt [14]   Folter, Kreuz und Tod sind auch Beweise für die Haltung des Gehorsams, wie Jesus den Weg des Gehorsams durch das Leiden auf sich nahm. [15] Bei der Bedeutung des Gehorsams für das Leben als Mönch, verwundert es nicht, dass Bernhard auf diese Tugend für die Praxis so großen Wert legt.

Durch die Wunden Jesu hat der Mensch gleichsam Zugang zum Inneren Gottes, zu seinem Herzen. In der Passion legt Gott sein Innerstes schutz- und wehrlos dar. Die Wunden entschleiern das innerste Geheimnis Gottes, zeigen uns, was Gott in seinem Wesen ist, Liebe:

„Was sehe ich durch die Öffnung (d.i. der Wunden)? Es ruft der Nagel, es ruft die Wunde, dass Gott wahrhaft in Christus die Welt mit sich versöhnt ... Offen liegt das Verborgene des Herzens durch die Öffnungen des Leibes, offen liegt jenes große Geheimnis der Güte ... Steht das Herz denn nicht durch die Wunden offen? ... Mein Verdienst ist somit das Erbarmen des Herrn. Nicht arm an Verdiensten bin ich, solange er es nicht an Erbarmen ist. Wenn aber die Barmherzigkeit des Herrn reich ist, bin auch ich reich an Verdiensten. Was macht es denn aus, wenn ich mir vieler Sünden bewusst bin?" [16]

Durch die Darstellung von Wunden, Herzen und Blut will Bernhard Betroffenheit auslösen. Im Zentrum aller Gedanken steht aber Jesus, der Gekreuzigte. „Jesus kennen und zwar als den Gekreuzigten", um diese paulinische Lebensweisheit kreist Bernhards Denken und Lieben.

Der Gekreuzigte soll der einzige Gegenstand der Betrachtung werden, denn in ihm ist alles: Wissenschaft, Leben und Heil. Bernhard drückt dies wie folgt aus:

„Dies zu betrachten, nannte ich Weisheit. Darin sehe ich die Vollendung der Gerechtigkeit, die Fülle des Wissens; darin den Reichtum des Heils (Jes 33,6), darin den Schatz der Verdienste ... Dies richtet mich auf, wenn ich niedergeschlagen bin; es hält mich in Schranken, wenn es mir gut geht ... es hält mir alle Gefahren zur Rechten und zur Linken vom Leib. Das hilft mir zur Versöhnung mit dem Weltenrichter, denn es zeigt ihn mir sanft und demütig ... Darum führe ich das oft im Mund, wie ihr wisst; ich trage es stets im Herzen, wie Gott weiß; es ist meiner Feder geläufig, wie jedermann weiß. Das ist meine höchste, meine wesentlichste Philosophie: Jesus kennen, und zwar als Gekreuzigten ... ich drücke ihn voll Freude an mich ----haec mea subtilior, interior philosophia, scire Jesum, et hunc crucifixum" [17]

Macht sich jemand diese Philosophie zu eigen, dann kehren sich ihm alle bislang gültigen Werte ins Gegenteil um, zumal die Werte, die in der Welt gelten.

Bernhards Theologie ist wesentlich Christologie und seine Frömmigkeit Christusfrömmigkeit. D.h. die Nachfolge Christi als Weg zur Vollkommenheit ist ein fortschreitender Übergang vom menschgewordenen Jesus zu dem in der Auferstehung und Himmelfahrt erhöhten Christus.  [18]

Wer sich wirklich des Kreuzes rühmen will, muss sich von den Dingen der Welt lösen und trennen, um mit Jesus zu sterben – von den Toten aufzuerstehen – und zum Vater heimzukehren.

4. Marienminne

Was der hl. Bernhard über Maria, die Gottesmutter, geschrieben und gesagt hat, gehört zu den kostbarsten Perlen der christlichen Literatur und Mariologie des Abendlandes, aber seine Marianischen Schriften machen nur einen sehr geringen Prozentsatz in seinem Werk aus: 3,5 %

Und gerade weil Bernhard das Lob der Gottesmutter so wunderbar gesungen hat, schrieb man ihm eine Fülle von Marianischen Hymnen, Gedichten, Predigten und Abhandlungen zu, die er nie verfasst hat. Bernhard hat zwar keine eigene Marianische Theologie entwickelt, doch wegen seines hinreißenden Stiles nannte man ihn die ‚Zither Mariens – cithara Mariae'.

Er vergleicht Maria mit Eva und nennt sie die „wahre Mutter des Lebens"; Maria ist das wahre Israel, in dem Gott gegenwärtig ist; sie ist die Bundeslade, die die Gegenwart Gottes verdeutlicht.

Bernhard nennt sie Königin, Fürsprecherin, Mittlerin und betont ihre Stellung in der Heilsökonomie ganz klar.

Maria wird nie losgelöst von ihrem Sohn Jesus Christus gesehen. Sie hat eine dienende Funktion. Alle Gnadenvorzüge hat sie um Christi willen, weil sie ja die Mutter des Gottessohnes ist, ja sie ist immer im Kontext mit den Glaubenden, der Kirche zu sehen. „Was wir zum Lob der Mutter vorbringen, betrifft ohne Zweifel auch den Sohn und umgekehrt, wenn wir den Sohn ehren, entfernen wir uns nicht von der Ehre der Mutter. [19]

Bernhards Mariologie ist für den Zisterzienserorden vorbildhaft und beispielgebend. Sie ist theologisch solide, voll Glut und Liebe, voller Affekt, aber trotzdem nie sentimental. Nicht ohne Grund sind alle Zisterzienserklöster Maria, der Königin des Himmels geweiht.

Zum Schluss möchte ich noch einen längeren Text aus dem „Lob der jungfräulichen Mutter" anfügen, in dem Bernhard den Namen ‚Maria' mit Stern im Meer deutet.

„Sie ist, sage ich, jener glänzende und alles überstrahlende Stern, zu unserem Heil emporgehoben über dieses große, weithin sich ausdehnende Meer, funkelnd durch Verdienste, Licht spendend durch ihr Vorbild. Ihr Menschen, die ihr erkennt, dass ihr im Strom des irdischen Lebens mehr zwischen Stürmen und Unwettern schwankt als auf festem Boden zu wandeln, wendet eure Augen nicht ab von dem Glanz dieses Sternes, wenn ihr von den Stürmen nicht überwältigt werden wollt. Wenn die Winde der Versuchungen sich erheben, wenn du in die Klippen der Trübsale gerätst, dann blick hin auf den Stern, ruf Maria an! Wenn du getrieben wirst auf den Wellen des Stolzes, auf den Wellen des Ehrgeizes, der Schmähungen, der Eifersucht, richte den Blick auf jenen Stern, ruf Maria an! Wenn Zorn, Habgier oder die Verlockungen des Fleisches dein Lebensschiff von der Bahn abbringen wollen, schau auf Maria! Wenn du, bestürzt über die Ungeheuerlichkeit der Vergehen, verwirrt durch das schlechte Gewissen, erfasst vom Schrecken vor dem Gericht, allmählich vom Abgrund der Trostlosigkeit, von der Tiefe der Verzweiflung verschlungen wirst, denk an Maria! In Gefahren, in Ängsten, in bedenklichen Lagen, denk an Maria, ruf zu Maria! Sie weiche nicht von deinen Lippen, nicht aus deinem Herzen, und damit du die Hilfe ihrer Fürbitte erlangen kannst, verliere nie das Beispiel ihres Lebenswandels aus deinen Augen. Wenn du ihr folgst, weichst du nicht vom rechten Weg ab, wenn du sie bittest, verzweifelst du nicht, wenn du an sie denkst, gehst du nicht fehl. Wenn sie ich hält, fällst du nicht, wenn sie dich schützt, bist du ohne Furcht, wenn sie dich führt, ermattest du nicht, wenn sie dir gnädig ist, gelangst du ans Ziel. So wirst du an dir selbst erfahren, wie zu Recht gesagt worden ist (Lk 1,27): Und der Name der Jungfrau war Maria." [20]

Schlussbemerkung

Diese Ausführungen haben, so hoffe ich, in kurzen Strichen gezeigt, dass die Maxime der zisterziensischen Reform „Zurück zu den Quellen – zu den reinen Quellen des Ursprungs" gerade in dieser Einfachheit und Reinheit ihre große Kraft bewies. Durch das Abwerfen allen hinderlichen Ballastes – zumindest in den Anfängen – wurden ungeahnte geistliche Kräfte freigesetzt, die unter der einzigartigen Persönlichkeit Bernhards von Clairvaux ganz Europa in ihren Bann schlugen und mit Zisterzienserklöstern geradezu überschwemmten. Bernhard und die Zisterzienser sind eine unzertrennliche Einheit geworden.

Ohne Cîteaux, ohne Zisterzienser kein Bernhard von Clairvaux, ohne Bernhard allerdings auch keine Zisterzienser, zumindest nicht so, wie und was sie geworden sind, eine religiöse Bewegung, die das Mittelalter in allen Bereichen nachhaltig und unverwechselbar geprägt hat.

 

[1] Das Leben des hl. Bernhard von Clairvaux (Vita prima). Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Paul Sinz. Reihe: Heilige der ungeteilten Christenheit. Düsseldorf 1962. 35ff.

[2] Winkler, Gerhard, Der hl. Bernhard von Clairvaux. Regensburg 2000, 4.

[3] zit. nach Thomas Denter: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität. Vortrag vom 28.6.2003. 4.

[4] Exordium. Parvum XV, 9. zit. nach Denter, Thomas: Bernhard von Clairvaux ....

[5] Denter, Thomas: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität, 2.

[6] Carta Caritatis pr., III, 2. Einmütig in der Liebe. Die frühesten Quellentexte von Cîteaux. Antiquissimi Textus Cistercienses. Hrg. Hildegard Brem, Alberich Martin Altermatt. Langwaden 1998. 2. Aufl., 102/103.

[7] . Hier zit. nach Denter, Thomas: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität. Vortrag vom 28.6.2003 in Thyrnau. 4.

[8] Köpf, Ulrich, Vortrag am 30.8.2003 in Eberbach: Zentrale Gedanken der Monastischen Theologie Bernhards.

[9] Ich orientiere mich bei meinen Ausführungen hauptsächlich an einem Vortrag von Abt Thomas Denter, den dieser am 28.6.2003 bei uns in Thyrnau gehalten hat.

[10] 16. Ansprache zum Hohenlied 1.

[11] Über die Gottesliebe I,1. in: Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke Bd. I. Hrsg. Gerhard Winkler, Innsbruck1990. 75-151, hier 75.

[12] 74. Ansprache zum Hohenlied II.5. Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke Bd. VI. Hrsg. Gerhard Winkler. Innsbruck 1995. 499ff.

[13] 15. Ansprache zum Hohenlied 6. zit nach Denter Thomas: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität. Vortrag vom 28.6.2003 in Thyrnau. hier 9.

[14] Über die Gottesliebe III,7. Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke Bd. I.

[15] Über die Stufen der Demut und des Stolzes,7. Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke Bd. II

[16] 61. Ansprache zum Hohenlied, 4-5. zit. nach Denter, Thomas: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität. 10.

[17] 43. Ansprache zum Hohenlied, III. zit. nach Denter, Thomas: Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität. Vortrag vom 28.6.2003 in Thyrnau, 10f.

[18] Altermatt, Alberich Martin: Lactatio und Amplexus: Die zentralen Themen der Bernhardsikonographie. In: Bernhard von Clairvaux. Der Zisterzienserheilige zur und in der Kunst. Hrsg.: Stiftung Kloster Eberbach, Dr. Jens Jakob. Katalog zur Ausstellung: Bernhard von Clairvaux. Der Zisterzienserheilige zur und in der Kunst. Abteimuseum Kloster Eberbach 2003. hier 31ff.

[19] Lob der jungfräulichen Mutter. 4,1.

[20] Lob der jungfräulichen Mutter, 4,1. Zit. nach Denter Thomas, Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienserspiritualität, Vortrag vom 28.6.2003 in Thyrnau, 12f.